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Nebelkerzen, Nebenschauplätze, Doppelbotschaften: 7 toxische Abwehrstrategien, die uns kirre machen

„Wir können überhaupt nicht gut miteinander streiten. Ich habe oft das Gefühl, dass meine Argumente überhaupt nicht gehört werden.“, erzählt Maya. Larissa berichtet, sie habe immer den Eindruck, ihre Gefühle seien irgendwie „falsch“ und „übertrieben“. Das behaupte zumindest ihr Ehemann. Und Peter hat Schiss, überhaupt irgendwas Kritisches zu seiner Freundin zu sagen, weil sie dann regelmäßig ausraste und ihm irgendwelche Gemeinheiten an den Kopf werfe.

 

All diese Paare können Konflikte nicht miteinander klären, weil einer von beiden das angesprochene Thema gleich im Vorfeld abblockt. Dabei wird selten klar gesagt: „Darüber möchte ich nicht sprechen.“ Vielmehr werden unbewusste Kommunikations-Taktiken angewendet, die beim Gegenüber zu Verwirrung und Verunsicherung  führen. Derjenige, der ein Problem ansprechen möchte, wird auf diese Weise so geschwächt, dass er an sich und der Berechtigung seines Anliegens zu zweifeln beginnt. Das sind perfide, ja toxische Methoden, um sich mit den Bedürfnissen des Partners/der Partnerin nicht ernsthaft auseinandersetzen zu müssen. Sie kommen in unserem Alltag leider sehr häufig vor und werden viel zu selten identifiziert und bearbeitet.

 

Die 7 häufigsten Abwehrstrategien möchte ich hier kurz vorstellen und erläutern. Ich möchte jedoch ausdrücklich darauf hinweisen, dass diese „Taktiken“ meistens unbewusst eingesetzt werden. Fast immer werden bei Menschen, die emotionale Themen oder Probleme vehement abblocken, bestimmte Triggerpunkt berührt, die sie selbst emotional in Bedrängnis bringen. Auch wenn man das erstmal vielleicht gar nicht vermuten würde.

 

 

Toxische Abwehrstrategie Nr. 1: Nebelkerzen zünden, dramatisieren

Michael fühlt sich von Maria manchmal bedrängt. „Ich brauch halt manchmal meine Ruhe, vor allem wenn ich gerade von der Arbeit komme.“ Maria bricht in lautes Schluchzen aus, wirft ihm vor, er liebe sie gar nicht wirklich, obwohl sie alles für ihn tue, rennt aus dem Zimmer, knallt die Tür zu, kommt zwei Minuten später wieder herein und sagt unter Tränen, dann könne er ja gleich seine Sachen packen und sich eine Neue, Bessere suchen...

Michael nimmt sie in den Arm, beruhigt sie, nimmt alles zurück. Anschließen quält ihn ein schlechtes Gewissen. Ist es vielleicht wirklich nicht fair von ihm gewesen, seinen Wunsch nach Ruhe zu äußern? Er beginnt zu zweifeln - an sich, seinem Bedürfnis. Daran, ob er ein guter Partner ist, ob er Maria genug liebt…

 

Marias heftige Reaktion mag ihre Ursachen haben. Sie scheint leicht irritierbar zu sein, sich nicht sicher gebunden zu fühlen, sie missinterpretiert seinen Wunsch vielleicht als Ablehnung. Ihre Reaktion signalisiert Michael jedoch auch, wie vermeintlich unverschämt sein Anliegen sei, auch mal in Ruhe gelassen werden zu wollen. Wenn Michael einigermaßen sensibel ist, wird er sich das nächste Mal genau überlegen, ob er etwas Abstand für sich einfordern kann. Ein innerer Konflikt („Was darf ich hier sagen, ohne dass es ein Drama wird?“) ist programmiert, das Problem („einer von beiden braucht etwas mehr Abstand“) ist weder besprochen noch bearbeitet, sondern auf hochemotionale Weise abgewiegelt worden. Die Botschaft: „Dein Anliegen bereitet mir so große Not, dass du mich damit bitte in Ruhe lässt!“

 

 

Toxische Abwehrstrategie Nr. 2: Doppelbotschaften senden

„Aber natürlich ist es mir wichtig, wie es dir geht!“ kontert Andreas den Vorwurf seiner Freundin Lisa, er erkundige sich nie nach ihrer Befindlichkeit, was ja offensichtlich ein Zeichen von Desinteresse sei. „Das müsstest du doch eigentlich wissen!“ Lisa verstummt. Sie ist irritiert, denkt nach: ‚Stimmt das? Aber woran soll ich das denn erkennen, wenn er mich nie fragt? Bin ich zu pingelig? Erwarte ich zu viel? Nehme ich das alles nur falsch wahr?‘

 

Wenn das Verhalten eines Menschen immer wieder dem widerspricht, was er behauptet, kommt es bei seinem Gegenüber oft zu maximaler Verwirrung. Sollen wir unserer Wahrnehmung trauen oder dem, was unser Partner sagt? Wenn jemand dauerhaft so irritiert wird, kann daran regelrecht verrückt werden.

 

 

Toxische Abwehrstrategie Nr. 3: Leere Versprechungen machen

„Na gut, dann kümmere ich mich jetzt mehr um den Haushalt und die Kinder, versprochen!“ Das hat Thomas allerdings schon so oft gesagt und sich anschließend nicht daran gehalten, dass Martina das kaum noch glauben kann. Nach zwei Tagen hatte er seinen Vorsatz offenbar schon wieder vergessen. Soll sie es nun schon wieder ansprechen? Martina ist hin- und hergerissen, sie ist ja nicht seine „Mami“, die ihn an seine Verpflichtungen erinnern will. Daher erledigt sie lieber alles weiterhin allein. Doch dann kommt irgendwann wieder diese Wut hoch, dass wieder mal alles an ihr alleine hängen bleibt….

 

Auf die Dauer führen leere Versprechungen zum absoluten Vertrauensverlust. Martina könnte bei entsprechender Disposition auch irgendwann in Depressionen verfallen, weil sie mit ihrem Anliegen nach Entlastung immer wieder scheitert. Sie wird durch Thomas‘ Versprechungen zwar kurzzeitig vertröstet, aber in ihrem Wunsch nicht wirklich ernst genommen, geschweige denn entsprechend unterstützt. Daran kann man wirklich verzweifeln, und eine Partnerschaft wird vermutlich irgendwann daran scheitern.

 

 

Toxische Abwehrstrategie Nr. 4: Leugnen, die Gefühle und Eindrücke der anderen Person nicht ernst nehmen

Lena und Jenny waren zusammen auf einer Party. Auf dem Rückweg sagt Jenny: „Ich habe mich heute Abend von dir ignoriert gefühlt, du warst immer nur mit anderen beschäftigt!“ – Lena reagiert prompt und heftig: „Das ist doch Quatsch, das stimmt doch gar nicht.“ – „Doch, fand ich schon“, widerspricht Jenny etwas leiser. „Nee, also Jenny, da übertreibst du total. Sei doch nicht so empfindlich. Außerdem ist das nun mal eine Party, da sind eben noch andere Leute.“

 

Jenny bleibt mit ihrem Eindruck, „ignoriert“ worden zu sein, allein. Ihre Freundin spricht ihr nahezu die Berechtigung ab, sich so fühlen zu dürfen. Auch Jenny weiß nun nicht so genau, ob sie fühlen darf, was sie fühlt, oder ob sie einfach nur „übertreibt“. Sie beginnt, an sich zu zweifeln. Immerhin haben ja auch ihre Eltern schon immer gesagt, sie sei "zu empfindlich“.

 

→ Durch das Leugnen und Nichtwahrhabenwollen katapultiert Lena Jenny in eine absolut verwirrende und hilflose Position. Denn wenn jemandem die „Richtigkeit“ seiner Wahrnehmung abgesprochen wird – was bleibt ihm/ihr dann noch, worauf er/sie sich verlassen kann?

 

 

Toxische Abwehrstrategie Nr. 5: Den Vorwurf zurückgeben

„Früher hast du dir immer so schöne Überraschungen für mich ausgedacht. Das machst du leider gar nicht mehr, das finde ich echt schade!“ Christine ist enttäuscht und traurig. Doch Markus hat gleich einen Gegenangriff parat: „Ja, und was machst du? Du meckerst ja auch nur rum!“

 

→ Bähm, der klassische Gegenangriff. Klar, dass hier gleich die Fetzen fliegen. Natürlich sind Vorwürfe per se nicht besonders geeignet, um ein Gespräch über wesentliche Themen einzuleiten. Denn ein Vorwurf wird häufig als ein Angriff verstanden, gegen den man sich vehement wehren muss. Muss man aber gar nicht. Man könnte rein theoretisch auch mal gefasst und freundlich fragen: „Was genau wirfst du mir vor? Und was wünschst du dir von mir?“ Eine gewisse Reife muss dafür allerdings vorhanden sein.

 

 

Toxische Abwehrstrategie Nr. 6: Nebenschauplätze eröffnen, das Gespräch auf ein anderes Thema oder eine andere Ebene lenken

„Ich fand dich irgendwie nicht so freundlich zu meiner Mutter, das ist für mich schwer auszuhalten!“ Kim ist frustriert. Tom erwidert: „Ich finde eh, dass wir da nicht so oft hinfahren sollten.“ Kim ist verwundert: „Was hat das denn jetzt damit zu tun?“ – „Naja, ich mein ja nur. Ist ja auch ganz schön weit weg.“

 

Tom geht auf Kims Aussage nicht ein, sondern bringt ein ganz anderes Thema ins Spiel, ohne einen möglicherweise vorhandenen gedanklichen Zusammenhang zu erläutern. Damit wird Kim auf eine andere Gedankenspur gelockt, weg von ihrer Enttäuschung über sein Verhalten. Entweder Kim lässt sich auf das neue Thema ein, oder sie muss nun darum kämpfen, dass er auf ihre erste Aussage Bezug nimmt.

 

→ Ich erlebe es oft, dass Paare in Konfliktgesprächen wild zwischen Gefühls- und Sachebene hin- und herspringen und keinen Schritt weiterkommen. Hier könnte es helfen, eine Meta-Ebene einzuführen: „Stopp: Was machen wir hier eigentlich gerade?“ Das ist im Eifer des Gefechtes aber manchmal gar nicht so einfach.

Prinzipiell gilt: Wenn die hochgekochten Emotionen nicht „abgeholt“ und beruhigt werden, ist eine Lösung auf der Sachebene kaum möglich.

 

 

Toxische Abwehrstrategie Nr. 7: Aggressive Reaktion, (Nieder-)Brüllen

Last but not least: Wer es gar nicht aushält, mit bestimmten Themen oder Anliegen konfrontiert zu werden, sich massiv angegriffen fühlt, fängt oft an, laut zu schimpfen, herumzuwüten oder gar zu brüllen. Von körperlicher Gewalt mal ganz abgesehen…

 

Die Funktion dieses Verhaltens ist, den Anderen zum Schweigen oder sogar zum Einknicken zu bringen. Gleichermaßen entspringt diese Reaktion einer tiefen inneren Not und Hilflosigkeit. Diese hochaggressive Verzweiflungsverhalten ist extrem destruktiv – für beide Partner und für die Beziehung. Wenn in einer Partnerschaft oft gebrüllt oder sogar geschlagen wird, wäre eine Paartherapie auf jeden Fall dringend angeraten.

 

 

Haben Sie die eine oder andere Verhaltensweise schon einmal an sich selbst oder Ihrem Partner/Ihrer Partnerin entdeckt? All diese hinderlichen oder sogar destruktiven Kommunikationsmuster kann man selbstverständlich bearbeiten und sukzessive auflösen. Allerdings müssten beide Partner bereit sein, sich mit den Hintergründen der eigenen Verhaltensweisen zu befassen. Denn nur wer eine Ahnung davon hat, warum er oder sie auf eine bestimmte Weise (re)agiert, wozu das einerseits gut sein soll und was es andererseits verhindert, kann daran nachhaltig etwas ändern.

 

 

© Felicitas Römer 2023

Foto: iStock

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