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Sortieren, entstauben, ausmisten: Warum Psychotherapie so viel mit Aufräumen zu tun hat

Praxis für Coaching, Paartherapie und Psychotherapie Bergedorf Felicitas Römer. Empathisch, vertraulich, humorvoll.

Eine Klientin bat mich kürzlich um einen weiteren „Aufräumtermin“. Ich musste heftig schmunzeln. „Aufräumtermin“- den Begriff finde ich super. Und er inspirierte mich sofort zu diesem kleinen Text. Denn tatsächlich haben psychotherapeutische Sitzungen viel damit zu tun,

  • etwas in seinem Leben zu ordnen,
  • sich innerlich neu zu sortieren oder
  • etwas (wieder) in Ordnung zu bringen.

Und was soll ich sagen? Tatsächlich fühlen sich Klient*innen manchmal nach einer Sitzung laut Eigenaussage irgendwie „aufgeräumt“.

 

Beim ersten Treffen sitzen wir oft erst einmal im gefühlten Chaos und versuchen uns gemeinsam einen Überblick zu verschaffen:

 

àWo liegt was herum?

àWorüber stolpern wir immer wieder?

àWas nervt am meisten?

àWas steht im Weg herum und verstellt uns den Blick?

àWas ist in der ganzen Gefühls-Unordnung gerade verlorengegangen und wo könnten wir es finden? 

 

Manchmal wirbeln wir ordentlich Staub auf, weil wir lange Liegengebliebenes mal aufheben und es uns von allen Seiten ganz genau anschauen. Das ist anfangs vielleicht nicht so angenehm (Staub!), sorgt aber immerhin für neue Perspektiven und Klarheit. Liebgewonnene Werte, Dinge und Erfolge werden gründlich poliert und ordentlich wertgeschätzt. Und vielleicht bekommen sie sogar einen neuen Ehrenplatz, an dem sie jede*r Gast bewundern kann.

 

Wir sehen uns aber natürlich auch das ganze Gerümpel an, das sich über die Jahre angesammelt hat, und fragen uns, was wir davon wirklich brauchen, und - ganz wie es die japanische Aufräumexpertin Marie Kondo empfiehlt -, was uns davon echte Freude bereitet. Und was eigentlich nur noch Ballast ist, den wir irgendwie loswerden müssten. „Auszumisten“ ist fast immer Teil einer erfolgreichen Psychotherapie.

 

Natürlich wagen wir auch hin und wieder einen Blick unter den Teppich: Ist hier etwas drunter gekehrt worden, was wir vielleicht noch gebrauchen könnten? Oder was wir mit einem kräftigen Staubsauger so „richtig“ entsorgen sollten?

 

Manchmal geht es aber auch darum, das Chaos einfach besser zu ertragen, es geschmeidiger handhaben zu können. Es kann  nicht immer sauber und ordentlich in unserem Lebenshäuschen sein! Aber was, wenn wir es schlecht aushalten können, dass es nicht so perfekt aussieht, wie wir es gerne hätten? Dann üben wir uns in Geduld und (Selbst-)Annahme. Auch das ist manchmal eine echte Herausforderung. Und extrem wichtig für Seele und Körper.

 

Und selbstverständlich steigen wir manchmal auf den Dachboden und suchen nach alten Schätzen, die wir für unser Leben noch nutzen können. Schätze - wie etwa kraftspendende Erinnerungen, Talente oder Ressourcen -, die wir hegen und pflegen sollten, statt sie irgendwo ungenutzt vergammeln zu lassen. Auch lagern hier oft verstaubte Glaubenssätze aus früheren Generationen herum, die zu unserem aktuellen Leben gar nicht mehr passen. Diese schütteln wir dann gemeinsam aus dem Fenster - in den Wind. Oder wir unterziehen sie einer gründlichen Runderneuerung, so dass sie hilfreich werden statt hinderlich zu sein.

 

Tja, und wenn wir ganz vorsichtig in den Keller hinabsteigen, finden wir dort oft gut verpackte düstere Erinnerungen und schmerzliche Erlebnisse, die wir am liebsten vergessen würden, aber mit denen wir irgendwie ja doch leben müssen. Und in so manchem Karton stoßen wir auf gut gehütete Familiengeheimnisse, in die wir vorsichtig hineinschielen, bevor wir sie vielleicht lieber wieder verschließen und zurück in eine Ecke stellen. Und die wir erst dann ganz bewusst wieder herausholen, wenn wir uns stark genug fühlen, genauer hineinzuschauen…

 

Ja, Psychotherapie hat etwas von „innerem“ Aufräumen. Wobei das Ziel natürlich nicht ist, dass die Bude immer picobello sauber zu sein hat. Es geht vielmehr darum, die eigenen Fähigkeiten so einzusetzen, dass man möglichst "easy" immer wieder genau die innere Ordnung herstellen kann, in der man sich gerade wohlfühlt. Und in der man auf Dauer wachsen und sich weiterentwickeln kann.

 

 

 

©Felicitas Römer 2021

Foto: istock

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